Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrerin Annedore Hohensteiner

Wir empfangen, was wir zum Leben brauchen

Wie es ihnen wohl heute geht, wenn sie an diesem schönen Nachmittag hier im Gottesdienst sitzen? Draußen zwitschern nicht nur die Vögel, sondern man hört auch das Brummen der Traktoren, die dabei sind, die Äcker zu bearbeiten.

Liebe Gemeinde,
wie es ihnen wohl heute geht, wenn sie an diesem schönen Nachmittag hier im Gottesdienst sitzen? Draußen zwitschern nicht nur die Vögel, sondern man hört auch das Brummen der Traktoren, die dabei sind, die Äcker zu bearbeiten. Und wahrscheinlich hat die eine oder andere von Ihnen heute auch schon gedacht: „heute muss ich in den Garten“, „ich muss dringend die Kartoffeln stecken“ oder „jetzt wäre es aber Zeit für den Frühjahrsputz“. Das ist so in einem drin – verständlich – schließlich haben sie vermutlich ihr ganzes Leben gearbeitet: im Garten, in der eigenen Landwirtschaft, im Betrieb, der Näherei und dann auch noch im eigenen Haushalt.

Sie haben sicher schon früh von den Eltern gelernt, dass man es nur zu was bringt, wenn man auch entsprechend fleißig ist.
Der heutige Predigttext steht zu diesen Tatsachen scheinbar im Widerspruch, denn von Fleiß, Leistung und Lohn ist nicht die Rede. Im Gegenteil: Wir empfangen das, was wir zum Leben brauchen, aufgrund unserer bloßen Bitte. Predigttext Lk 11,9-13:
Wir bekommen das, was wir zum Leben brauchen, wenn wir bloß darum bitten. So sagt Jesus. Und er erklärt das mit einem einfachen Beispiel: Stellt euch vor, euer Kind bittet euch um das, was es zum Leben braucht, nämlich Nahrung.

Ihr würdet ihm niemals etwas geben, was sein Leben zerstört, etwa eine Schlange anstatt eines Fisches. So gemein wäre doch kein Mensch!
Und wenn schon wir Menschen diese wesentlichen Bitten erfüllen, dann wird erst recht Gott keine Bitte, kein Suchen und kein Anklopfen unerfüllt lassen. Und wie unsere leiblichen Eltern dürfen wir auch Gott um alles bitten, was wir zum Leben brauchen.

Aber: funktioniert das im Leben so einfach? Haben Sie das erlebt, liebe Gemeinde, dass sie das bekommen haben, worum sie gebeten haben? Das hat sicher früher schon bei den Eltern nicht immer funktioniert. Viele von Ihnen werden unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sein. Da konnten gar nicht alle Wünsche erfüllt werden.

Und mit dem Beten ist es auch mitunter so eine Sache: das Beten an sich fällt einem nicht immer leicht – und dass Gebete erfüllt werden, erleben wir auch nicht immer.
Was Beten ist, das hat der württembergische Reformator Johannes Brenz in seinem Katechismus so definiert: Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung.
Das heißt, sich mit seinen Sorgen, Nöten, seinen Wünschen und seinem Dank Gott anzuvertrauen. Im Beten vertraue ich darauf, dass Gott mich als Gegenüber und mein Gebet wahrnimmt und ernst nimmt.
Wie befreiend es sein kann mit einer vertrauten Person ein Problem zu besprechen oder ihr einen Wunsch anzuvertrauen, ist sicher jedem bekannt.

Vielleicht hat der Gesprächspartner eine Idee oder einen Lösungsvorschlag, auf den man selbst nicht gekommen wäre und man sieht das Problem oder den Wunsch noch mal in einem anderen Licht.
Diesen einfachen Vergleich auf das Gebet zu Gott zu beziehen scheint fast ein bisschen banal, jedoch: auch durch das Gebet bleiben wir nicht länger mit unseren Erfahrungen, Ängsten, Sorgen und Freuden allein sondern suchen die Nähe und Gegenwart Gottes.

Beten heißt auch, aus der Rolle fallen zu dürfen. Im wahrsten Sinn des Wortes spielt es in dem Moment keine Rolle, was ich für Fähigkeiten, Erfolge, Funktion habe. Diese Koordinaten unserer Leistungsgesellschaft geraten im großen Kontext Gottes des allmächtigen Schöpfers außer Kraft. Hier ist Raum für Wünsche, Sehnsüchte und Träume.

Und die Gebete werden auch erhört, so verspricht Jesus. Bittet, so wird euch gegeben, so lautet das Fazit des Predigttextes. Schön wär´s, möchte man doch sagen.
Wenn wir bitten erwarten wir auch, dass die Gabe genauso ist, wie wir sie uns vorstellen. Wie er unsere Gebete erfüllt, liegt jedoch allein in der Hand Gottes. Weil seine Wege unergründlich sind und nicht immer den Plänen folgen, die wir uns zurechtgelegt haben, funktioniert der Kausalzusammenhang von Bitte und Gabe, von A und B eben oft nicht so, wie es uns zunächst logisch erscheinen würde.
Immer wieder haben sicher auch Sie die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass sowohl Geben als auch Nehmen in den Bereich der unergründlichen Ratschlüsse Gottes gehören.

Doch beten kann eben auch heißen, vor Gott zu klagen, ja sogar Gott anzuklagen. Beten heißt, das sinnlos erscheinende Leid in seiner ganzen Unverständlichkeit unzensiert vor Gott zu bringen. Beispiele in der Bibel sind dafür auch die zahlreichen so genannten Klagepsalmen. Der Beter wendet sich gerade nicht ab von Gott, er verstummt nicht angesichts seines Leides, er verfällt nicht in einen apathischen Zustand. Das Gebet bietet die Möglichkeit zur Trauer, die Chance zur Verarbeitung des Schrecklichen, weil es über die Sprachlosigkeit hinausführt.

Beten ist aber auch deshalb schwer, weil wir Menschen von Anfang an lernen, dass man nur zu etwas kommt, wenn man auch entsprechend dafür arbeitet. Es ist für viele Menschen sehr schwer, älter zu werden und zu merken, dass man nicht mehr so kann wie früher, dass man womöglich jemanden um Hilfe bitten muss. „Bittet, so wird euch gegeben“ – schön und gut, aber lieber wäre es uns doch, wir bräuchten uns gar nichts geben zu lassen. Vermutlich geht es Ihnen auch manchmal so.

Aber im Leben gehört eben doch beides eng zusammen: das Beten und das Arbeiten. Die Benediktinermönche haben das ja schon früh erkannt und den Spruch „ora et labora“ – „bete und arbeite“ zu ihrem Motto gemacht. Beten und Arbeiten stehen nicht beziehungslos nebeneinander, genauso wenig wie sie sich gegenseitig verdrängen oder ersetzen. Im Kontext Gottes findet Arbeiten und Beten seinen Platz und seine Zeit im Leben.

Beides hat seine Berechtigung und auch seine Zeit im Leben: vielleicht ist jetzt eine Zeit, in der man das Beten wieder neu lernen und probieren kann – wenn man nicht mehr so viel arbeiten muss. Es kann gut sein, dass es im Leben auch dafür eine Zeit gibt – nachdem das Arbeiten in den vielen Jahren davor in der Regel schon einen so großen Teil eingenommen hat.
Und wenn man nicht weiß, wie und was man beten soll? Da reicht wohl für den Anfang ein Seufzen, ein paar Worte  - denn Gott weiß, was wir brauchen, schon bevor wir ihn bitten.
Ein Mönch war eines Tages unterwegs in eine ganz abgelegene Gegend. Er wusste, dass dort ein sehr frommer Mensch lebte, den wollte er gerne besuchen. Als er dort ankam war er erstaunt. Der fromme Mann besaß keine Bücher und es stellte sich heraus, dass er nicht einmal lesen konnte.
„Aber“, fragte der Mönch, „wie kannst du beten, wenn du nicht lesen und schreiben kannst?“ „Ganz einfach“, antwortete der fromme Einsiedler, „ich kann nämlich das Alphabet aufsagen. Das mache ich und dann bitte ich Gott, dass er sich aus den Buchstaben die richtigen Worte zusammensetzt. So bete ich und Gott versteht, was ich ihm sagen möchte.“ Amen.