Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrerin Cornelia Reusch, Pfarrerin Mechthild Martzy

Wer bin ich?

Eine Frau sieht morgens in den Spiegel.Was sieht sie? Ein etwas unausgeschlafenes Gesicht. Müde Augen. Eine Falte – und noch eine. Die Haare werden immer dünner und grauer. Die Frisur ist verrutscht. Oh je. Nein, sie gefällt sich gar nicht. Sie fragt sich: Bin ich das tatsächlich? So grau?

Willkommen Sie alle, die Sie an diesem Nachmittag hierher ins St. Bernhardt–Kirchle gekommen sind.
Hier ist Raum, der uns aufnimmt, uns Geborgenheit schenkt, uns einlädt, einfach da zu sein.
Vielleicht ist er uns jetzt noch fremd und unvertraut.
Vielleicht taucht auch die Erinnerung auf:
Hier oder an einem ähnlichen Ort war ich schon einmal.
Was immer wir mitbringen, an Gestimmtheit, an Erfahrungen, jetzt sind wir hier
und feiern Gottesdienst, feiern das Leben, tauchen ein in Gottes Gegenwart.
Und so feiern wir Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und der Heiligen Geisteskraft. Amen.

Eingangslied:
166/ 1-3+6 Tut mir auf die schöne Pforte…

Psalmgebet:
Psalm 139 (Nr. 754)
Ehr sei dem Vater

Eingangsgebet
Guter Gott,
wir möchten uns zuhause fühlen
hier bei dir.
In deinem Haus.

Mit Menschen, die uns vertraut und nahe sind
und auch mit den anderen,
die wir nicht kennen.
Fremd und nahe bist auch du uns, Gott.
Wir spüren unsere Sehnsucht nach dir.

Wir bitten dich:
Komm zu uns
und mach uns froh.
Lass es uns leicht werden ums Herz
und warm.
Amen.

Musikstück
Dialogszene vor dem Spiegel

C: Ich möchte uns beide vorstellen: Das ist Gudrun und ich bin Cornelia. Wir wollen uns jetzt ein wenig unterhalten – Gudrun und ich. Hinter uns steht ein großer Spiegel.

G: Na, der ist auch schon in die Jahre gekommen.
C: Ja, den habe ich in Berlin gekauft als Studentin. Da hatte ich wenig Geld. In einem Laden, wo es viele alte, gebrauchte Sachen gab. Der war damals schon alt. Wo er vorher war, das bleibt sein Geheimnis.

G: (Schaut genauer hin) Ja, da sind blinde Flecken. Mal schauen, ob das Putzen hilft. (putzt mit Glasrein und Lappen). Nein, das hilft auch nicht.

C: Ich glaub, ich habe mich heute noch gar nicht im Spiegel angeschaut. (schaut in den Spiegel) Und du siehst auch nicht aus, als hättest du heute schon einen Blick reingeworfen.

G: Wieso nicht?
C: Na, so wie deine Frisur aussieht. (Mit Hand bissle in die Haare fahren.)
G: Lass mich mal sehen… (schaut in den Spiegel!) Also hör mal, was hast du an meiner Frisur auszusetzen?

C: Ach, ich mein ja bloß, irgendwie siehst du heute verstrubelt aus.
G: Bei mir musste es heute Morgen schnell gehen. Da hatte ich nicht mal Zeit in den Spiegel zu gucken.

C: Gudrun, ich muss gestehen, ich mag Spiegel nicht besonders. Meine Haare werden immer dünner. Das gefällt mir gar nicht. Und blass war ich schon immer, auch als kleines Mädchen schon. Schaust du dich denn gern an im Spiegel?
G: Auch nicht jeden Morgen…

C: Also früher, da habe ich oft mit meiner Schwester Friseuse gespielt. Wir hatten so einen kleinen Handspiegel und haben ihn gedreht und gewendet bis wir uns richtig sehen konnten. Ja, mir gefällt manches nicht, was ich jetzt an mir entdecke: Haare, Hautfarbe, erste Falten…

G: Schau mal meine Haare: Ich hab zwar viele, aber sie sind grau.
C: Ja, was denkst du: Meine wären auch grau, wenn ich sie nicht tönen würde.

G: Ich hatte übrigens schon immer rote Bäckle und Falten sind für mich Zeichen der Reife. Ich mag meine Lachfalten.

C: Da fällt mir ein, was mir mal ein Clown geraten hat:

Wenn du morgens in den Spiegel schaust, dann schneide doch erst mal eine Grimasse.
Ehrlich, das hilft.
Das mache ich jetzt manchmal: Wenn ich müde bin und grätig und keine Lust habe auf den neuen Tag und meine Arbeit, dann strecke ich mir erst mal die Zunge vor dem Spiegel raus (so!) und dann ist meine Laune schon ein wenig besser.
Oder ich schneide eine Grimasse…
Und dann denke ich: Na ja, eigentlich sehe ich doch ganz nett aus.
Klar, man sieht mir mein Alter an.
Aber das darf doch sein. Oder was meinen Sie? (zu den BesucherInnen gewandt).

Musikstück

Ansprache über 1. Korinther 13,9-12

Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth:  
„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“

Wer bin ich?
Eine Frau sieht morgens in den Spiegel.
Frau Fröhler und Frau Reusch haben es uns ja eben vorgespielt.
Was sieht sie?
Ein etwas unausgeschlafenes Gesicht. Müde Augen. Eine Falte – und noch eine. Die Haare werden immer dünner und grauer. Die Frisur ist verrutscht. Oh je. Nein, sie gefällt sich gar nicht. Sie fragt sich: Bin ich das tatsächlich? So grau? So zerknittert?

Wenn man diese Frau fragen würde: Wer bist du – oder wer sind Sie? – würde sie vielleicht antworten:
Ich bin Elfriede Müller. Geboren in Göppingen, jetzt wohnhaft in Esslingen. 63 Jahre alt, verheiratet, zwei erwachsene Kinder. Von Beruf Krankenschwester. Aber erst mit 46, als die Kinder größer waren, habe ich wieder begonnen, im Esslinger Krankenhaus zu arbeiten.

Wenn sie uns das erzählt hat, wissen wir schon ganz viel über diese Frau. Und doch noch ganz wenig. Um sie wirklich kennenzulernen müssten wir uns Zeit nehmen. Sie fragen: Was essen Sie gern? Mögen Sie Musik? Arbeiten Sie gern im Garten? Was machen Sie am liebsten im Urlaub oder wenn Sie frei haben? Lieben Sie Ihren Mann? Was gefällt Ihnen an Ihren Kindern? Haben Sie schon Enkel? Leben Ihre Eltern noch? Sind Sie gesund?
Wenn wir auf all diese Fragen eine Antwort bekämen, wüssten wir schon mehr. Und trotzdem: Immer noch würden wir die Frau nicht wirklich kennen. Dazu bräuchte es Zeit – viel Zeit. Jahre. Jahrzehnte.

Wenn wir tatsächlich mit einem Menschen über lange, lange Zeit das Leben teilen stellen wir fest: Es gibt Dinge, die bleiben immer gleich. Wann und wo ich geboren bin. Wer meine Eltern waren. Und ob ich mit Geschwistern aufgewachsen bin oder als Einzelkind.
Aber vieles verändert sich auch im Laufe des Lebens.
Als Kind mochte ich viele Dinge nicht essen, die ich als Erwachsene durchaus mag.
Als Kind war ich fast immer gesund. Heute bin ich krank und weiß, dass ich nie wieder wirklich gesund sein werde.
Als Kind war ich immer mit vielen Menschen zusammen. Meine Geschwister, meine Eltern, und oft waren auch die Großeltern und die Tante noch da. Heute bin ich oft allein.

Ja, ich bin ein Mensch, der sich verändert. Über manche Veränderungen freue ich mich. Ich muss mich nicht mehr über so vieles aufregen wie als Jugendlicher. Ich nehme nicht alles mehr ganz so wichtig.
Aber viele Veränderungen mag ich auch gar nicht. Ich werde älter – und meine Kräfte lassen nach. Immer mehr bin ich auf Hilfe angewiesen. Das macht mir Angst.

Wer bin ich?
"Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin."
Paulus schreibt: Jetzt sehe ich etwas. Jetzt erkenne ich etwas. Jetzt weiß ich etwas über mich. Und doch ist das noch lange nicht alles, was über mich zu sagen ist. Es ist nur ein „dunkles Bild“. Verschwommen.

Ist es nicht auch so, dass ich selbst nur ein „dunkles Bild“ von mir habe? Dass auch ich mich nur „stückweise“ kenne?
Meine eigenen Gefühle verstehe ich durchaus nicht immer. Wieso habe ich mich eigentlich gerade so geärgert? Es war doch im Grunde ganz harmlos, was mein Gegenüber gesagt hat. Manchmal bin ich auch erschrocken - wenn ich feststelle, dass ich ganz viel von dem, was früher selbstverständlich war, nicht mehr kann.
Manchmal freue ich mich aber auch über mich. Mir gelingt etwas, was ich mir früher nicht zugetraut hätte. Und ich merke: Ich bin ein Geheimnis – manchmal für andere, oft auch für mich selbst.
Und so geht es uns auch mit anderen: Oft glauben wir ja, einen Menschen durch und durch zu kennen. Doch dann merken wir wie sich das vertraute Bild verschiebt, verdunkelt, wie es sich uns entzieht.

"Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin."
Da ist einer, schreibt Paulus, der mich nicht nur „stückweise“ sondern „ganz“ kennt: Gott.
 „Dann aber …“, sagt Paulus. Dann sieht Gott mich. Er sieht mich „von Angesicht zu Angesicht“. Unverstellt durch Falten oder schlechte Laune. Unverstellt durch alles, was ich in meinem Leben vielleicht falsch gemacht habe. Er sieht mich so, wie ich wirklich bin, mit all meinen Veränderungen. Nein, mehr noch: Er sieht mich so, wie ich von ihm her gemeint bin. Nicht prüfend, gnadenlos in grellem Neonlicht. Sondern wohltuend und liebevoll, wie durch den warmen Lichtschein einer Kerze.

So sieht mich Gott:
Als seine geliebte Tochter, als seinen geliebten Sohn.
So wie ich bin. Mit dem, was ich kann – und mit dem, was mir nicht oder nicht mehr gelingt. So sieht er mich – und so liebt er mich auch.
Einmal werde auch ich mich so sehen können wie Gott mich sieht: als einen ganzen, runden, heilen Menschen. Jetzt müssen wir uns noch mit dem verschwommenen Bild begnügen.

Doch wenn mich wieder die Frage überfällt:
Wer bin ich?
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
- darf ich darauf vertrauen:
Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!
Das kann mir keiner nehmen. Das bleibt – Gott sei Dank.
Amen.

Lied:
511/ 1 – 3 Weißt du, wie viel Sternlein stehen…

Fürbittengebet

In den Gebetsruf einstimmen:
„Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott!“

Guter Gott,
manchmal wissen wir nicht mehr, wer wir sind.
Bin ich denn noch, die ich einmal war?
Erinnerungen verblassen, unscharf wird das Bild von mir.
Wer bin ich?
Du, Gott, kennst mich.
Darauf vertrauen wir und rufen alle zu dir:
…“Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott!“

Guter Gott,
wir sehen nur wie Menschen sehen.
Wer wir waren und was aus uns geworden ist.
Wir bewerten und sind bekümmert, was sich verändert hat.
Du aber siehst uns an mit Augen der Liebe.
Unter deinem Blick wird uns warm und wohl.
Du weißt, wer wir sind.
Das genügt.
Darauf verlassen wir uns und rufen alle zu dir:
…“Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott“

Guter Gott,
wir sind nicht allein mit dem, was uns belastet und hart ankommt.
Wir gehören zur Familie Gottes, zu den Brüdern und Schwestern, die Christus nachfolgen.
Wir spüren die Kraft, wenn wir gemeinsam singen und beten.
Wir danken dir dafür und rufen zu dir:
…“Wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott.“

Guter Gott,
nichts und niemand kann uns aus deiner Hand reißen.
Wir sind und bleiben unter deinem Schutz.
Und so legen wir Gott unsere Bitten und unseren Dank ans Herz und beten gemeinsam das Vaterunser…

Vaterunser
Ansagen

Schlusslied:
322/ 1. 5 – 7 Nun danket all und bringet Ehr…
Segen

Der Herr segne euch und behüte euch.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht über euch und gebe euch Frieden.
Dreifaches Amen
Orgelnachspiel und Verteilung roter Rosen an alle