Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Diakon Rainer Groeschel,

Niemand erhält weniger Liebe dadurch, dass ein anderer hinzukommt

Am Waldesrand des kleinen Städtchens Irgendwo liegt das Alten- und Pflegeheim „Im Drosseltal“. Es unterscheidet sich wenig von anderen Heimen dieser Zeit, es läuft alles so seinen Gang.

Herbstpredigt - Am Waldesrand des kleinen Städtchens Irgendwo 

Wochenspruch

Vorspiel

Eingangslied
EG 165, 1+2+8 , Gott ist gegenwärtig

Gruß

Psalm 92 (EG 737)

Ehr sei dem Vater ...

Gebet

Herr, unser Gott, wir kommen zu dir, du schenkst uns dein Licht und dein Wort. Und dein Reich gibst du gerade den Armen und Schwachen. So wirst du auch uns gnädig sein. Schick uns nicht fort mit leeren Händen, sondern erfülle uns ganz mit Christus und seinem Geist, deinem Wort der Treue, deinem lebendigen Licht für diese Welt und alles Leben, jetzt und bis hin zu dir in Ewigkeit. Amen.

Stilles Gebet

Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten. Amen.

Lied:
Lobe den Herren, den mächtigen  EG 317, 1-3

Liebe Gemeinde!

Niemand erhält weniger Liebe dadurch, dass ein anderer hinzukommt.

Am Waldesrand des kleinen Städtchens Irgendwo liegt das Alten- und Pflegeheim „Im Drosseltal“. Es unterscheidet sich wenig von anderen Heimen dieser Zeit, es läuft alles so seinen Gang. Heimleiter Norbert Gutmann - seit ein paar Jahren für dieses Haus verantwortlich - ist froh, dass zur Zeit kaum Pflegepersonal krank ist. Somit können die Dienstpläne des Personals ohne Veränderungen eingehalten werden. Allerdings etwas macht Heimleiter Gutmann zu schaffen. Seit ein paar Wochen ist sein Haus unterbelegt. Und jedes leere Bett, jedes leere Zimmer kostet das Haus enorm viel Geld.

Der unglückliche Zufall will es in dieser Woche, dass in einem anderen kleinen Heim des Landkreises die Heizungsanlage vollständig ausgebaut und saniert werden muss. Da es jedoch Winter ist, müssen die acht Bewohnerinnen und Bewohner anderswo untergebracht werden. Es trifft sich gut, dass „Im Drosseltal“ Plätze frei sind.

Schnell werden die Zimmer und Betten auf den Stationen gerichtet. Auf einer Station wird von den Schwestern großes „Herzlich willkommen“-Schild quer über den Gang aufgehängt. Die Neuen sollen sich wohl fühlen für die paar Wochen, die sie hier im Haus sind. Gegen Abend sollen die Kurzzeitgäste eintreffen. Heimleiter Gutmann hat den Speisesaal so umgruppieren lassen, dass die acht neuen BewohnerInnen an einem großen Tisch sitzen können. Dafür müssen halt ein paar der anderen BewohnerInnen sich umsetzen.

Auf dem Tisch steht ein großer Strauß mit roten Rosen. Eine feine weiße Tischdecke liegt auf und vor jedem Teller steht ein Tischkärtchen mit Namen. Die Pflegedienstleiterin hatte sich am Nachmittag kundig gemacht wie die neuen mit Vor- und Nachnamen heißen. Auch die Küche hat sich an diesem kalten Wintertag angestrengt und einen heißen, wohlriechenden Fleischeintopf gekocht.

Die beiden Kleinbusse mit den neuen BewohnerInnen treffen mit zehn Minuten Verspätung ein. Heimleiter Gutmann und ein paar Bufdis und Schwestern bringen die Neuen in den Speisesaal an ihren Platz. Alle anderen sitzen schon und warten - zum Teil ungeduldig - aufs Abendessen. Doch Heimleiter Gutmann begrüßt zuerst die Neuen, stellt sich und seine Pflegedienstleiterin vor und wünscht einen guten Aufenthalt und einen guten Appetit.

Die Tür zur Küche öffnet sich und die dampfenden Eintopfschüsseln werden hereingetragen. Zuerst kommt der Tisch der neuen dran, dann werden auch die anderen Tische bedient. Heimleiter Gutmann lässt es sich nicht nehmen ebenfalls an diesem Tisch mitzuessen und das Willkommens-Gläschen Wein selbst auszuschenken. Wein gibt es ja nicht oft im Hause, aber an diesem Tag wird jede und jeder, die oder der ein Gläschen trinken mag, damit bedient. Zum Nachttisch gibt es noch ein Schälchen Fruchtquark und dann werden die Neuen auf Stationen und in ihre Zimmer gebracht, wo zum Teil schon das Gepäck zum Ausräumen wartet.

Berta Konawitz und Lore Mußgnug sind im Speisesaal länger sitzengeblieben. Beide haben sie das Ankommen der Neuen kritisch beobachtet. Heimleiter Gutmann hatte nichts anderes zu tun als nur um jene herumzutanzen und vorne und hinten zu bedienen. Sonst war er ja selten beim Essen dabei, da er oben im Haus bei der Familie aß. Und bei ihnen beiden am Tisch hatte er in den drei Jahren, seit sie hier eingezogen sind, auch noch nie gesessen. Zum Glück bleiben die Neuen ja nur ein paar Tage.

Musikalisches Zwischenstück

Am nächsten Morgen kommt Heimleiter Norbert Gutmann an den Tisch der Neuen, begrüßt die Bewohnerinnen und Bewohner mit Handschlag und fragt wie sie in der ersten Nacht geschlafen hätten. Danach geht er an die anderen Tische und begrüßt ebenfalls die Bewohnerinnen und Bewohner mit Handschlag. Mit einem Morgenlied wird dann das Frühstück eröffnet.

Drei Tage lang geschieht nichts Weltbewegendes „Im Drosseltal“. Dann jedoch herrscht große Aufregung: ein obdachloser älterer Mann wird in der Mittagspause beim Diebstahl von einem Praktikanten erwischt. Er hatte sich im Vorratsraum verstecken können und wollte mit ein paar Laib Brot und einer großen Wurst unterm Arm sich gerade aus dem Haus schleichen. Heimleiter Gutmann wird vom Essen mit seiner Familie weggerufen und sitzt in seinem Büro und spricht mit dem Obdachlosen. Heinz Luhser sei sein Name, sagt dieser und das sei er auch. Heimleiter Gutmann schaut ihn fragend an: „Was meinen Sie damit!“ „Na,“ sagt jener, „ich bin eben ein Looser, wie die Engländer sagen, eben ein Verlierer!“

Und dann erzählt er, warum er auf der Straße ist: sein einziger Sohn ist kurz vor der Hochzeit von einem Auto überfahren worden und nach 14 Tagen im Koma gestorben. Seine Frau hätte dies nicht verkraftet und hätte sich ein halbes Jahr später das Leben genommen. Er selber, er war Lehrer, habe daraufhin zu trinken begonnen und wäre bald vom Dienst suspendiert worden, weil er in der Schule ebenfalls zur Flasche griff. Er hätte sich um nichts mehr gekümmert und irgendwann einmal stand die Polizei vor der Tür mit dem Gerichtsvollzieher. An diesem Abend hätte er seinen Rucksack gepackt und seine Wohnung für immer verlassen. Seit sieben Jahren lebe er nun auf der Straße. Ab und zu verdiene er sich ein paar Euro mit Hilfsarbeiten, aber die meisten würden ihn wegschicken oder rausschmeißen „obwohl er  keinen Tropfen Alkohol mehr anrühre“.

„Warum trinken Sie nicht mehr?“ fragt Heimleiter Gutmann. „Wissen Sie, ich hatte irgendwann einmal unter der Brücke einen Jungen entdeckt, der meinem Sohn ähnlich sah. Er war allein und ich war allein. Und so taten wir uns zusammen und tranken auch miteinander um diesem beschissenen Alltag - entschuldigen Sie - zu entfliehen. Eines Morgens lag der Junge tot neben mir. Alkoholvergiftung wurde festgestellt, er hatte irgendetwas Hochprozentiges getrunken. Da habe ich mir geschworen, keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken.“

Heimleiter Gutmann schaut den Obdachlosen nachdenklich an und schweigt. „Wollen sie nicht die Polizei rufen?“ fragt dieser. „Warum sollte ich?“ „Na, weil ich was im Haus klauen wollte.“ „Und dann?“ „Na, da habe ich wenigstens ein paar Tage einen warmen Platz zum Schlafen und krieg ‘ne warme Mahlzeit!“ „Dazu brauchen Sie nicht in den Knast!“ entfährt es Heimleiter Gutmann. Fast könnte er sich auf die Lippen beißen, aber da hat er es schon gesagt. Und einen Rückzieher hat er noch nie in seinem Leben gemacht.

Musikalisches Zwischenstück

Berta Konawitz und Lore Mußgnug können es nicht fassen. Da saß doch heute Morgen dieser Penner am Tisch schräg gegenüber am Platz von Herrn Vogel, der sich zur Zeit im Krankenhaus befindet. Er hat nicht aufgeschaut und nur „in sich hineingeschaufelt“. So geht das nicht weiter, da muss der Heimbewohnerrat was unternehmen. Sie haben sich schon mit Herrn Kaltmann in Verbindung gesetzt und um 10 Uhr haben sie ein Gespräch mit Heimleiter Gutmann. Na, der kann aber was hören.

Ja, liebe Gemeinde, was wird das wohl für ein Gespräch werden? Wie wird Heimleiter Gutmann darauf reagieren? Können wir uns so eine Situation nicht auch hier in unserem Haus vorstellen? Es ist zwar eine Geschichte, die ich Ihnen hier erzähle, aber der biblische Predigttext vom Sonntag hat mich darauf gebracht. Es ist ein Gleichnis Jesus und ich habe versucht, es auf unsere, Ihre Situation umzuschreiben. Ganz gewissenhafte Theologen werden sagen, das ist nicht richtig einfach eine Erzählung zur Zeit Jesus so einfach auf heute zu übertragen. Aber trotzdem habe ich es getan. Vielleicht sagen Sie mir nachher Ihre Meinung.

Musikalisches Zwischenstück

Es ist 10 Uhr. Pünktlich klopfen Lore Mußgnug, Berta Konawitz und Herr Kaltmann an die Tür von Heimleiter Gutmann. Der bittet sie herein und fragt nach ihrem Begehren. Da sprudelt es nur so aus Lore Mußgnug heraus: „Sie bevorzugen andere! Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner, die ja nur ein paar Tage hier sind, werden von Ihnen vorne und hinten bemuttert. Die bekommen einen extra Tisch beim Essen, bei denen fragen Sie jeden Tag, wie es ihnen geht!“ „Und vor allem: dieser Penner in unserem Haus“ - wirft Berta Konawitz ein. „Wen meinen Sie?“ fragt Heimleiter Gutmann. „Den, den Herrn, na den ... Sie wissen schon wer!“ „Ach, Sie meinen Herrn Luhser!“ „Ja, den meine ich! Der hat hier überhaupt nichts zu suchen. Ich kann nicht verstehen, wieso Sie den hier aufgenommen haben. Der taugt doch nichts, der gehört in ...“ „Frau Konawitz, das verbitte ich mir. Herr Luhser ist ein ehrenwerter, liebenswürdiger Mensch, der viel in seinem Leben mitgemacht hat!“ „Das habe ich auch!“ schaltet sich nun Herr Kaltmann ins Gespräch ein. „Und trotzdem bin ich nicht so geworden!“

Heimleiter Gutmanns Ton wird nun eine Spur schärfer: „Was wollen Sie von mir?“ Die drei vom Heimbewohnerrat schauen sich an, schließlich redet Lore Mußgnug: „Wir sind der Ansicht, dass Sie sich zu sehr um andere kümmern! Wir sind doch schon Jahre hier und ...“ Heimleiter Gutmann unterbricht Sie: „Haben Sie etwas ganz Bestimmtes auszusetzen? Sind Sie mit der Betreuung nicht mehr zufrieden? Schmeckt Ihnen das Essen nicht?“ „Nein, so meinen wir das nicht Herr Gutmann. Wissen Sie, wir sind doch schon länger hier, wir haben doch die älteren Rechte!“ „Ach so, Sie meinen, weil Sie länger hier sind müssten Sie bevorzugt werden? Wie kommen Sie denn darauf? Bei uns werden alle gleich behandelt, gleich gut, egal ob schon lange da oder kurz, ob Mann oder Frau, ob krank oder gesund. Sie sind alle gleich wertvoll und wichtig!“ „Aber wir ...,“ versucht sich Herr Kaltmann nochmals einzubringen und wird von Heimleiter Gutmann abrupt unterbrochen.

„Sie wissen: Ich habe immer ein offenes Ohr für Sie. Wenn Sie mir sagen: Das Essen ist nicht mehr so abwechslungsreich! Oder Schwester XY grüßt mich nicht mehr! Oder die Zimmer werden nicht mehr richtig geputzt! Oder die Pflegequalität ist in den Tagen seitdem die neuen Bewohnerinnen und Bewohner da sind schlechter geworden. Oder Herr Luhser belästigt Sie! Oder Sie werden schlechter betreut als zuvor ... ja dann will ich mich gerne darum kümmern und die Ursachen abstellen. Wenn Sie aber nur neidisch und beleidigt sind, weil wir die neuen genauso freundlich behandeln wie Sie, dann können wir das Gespräch jetzt beenden. ... Warum beklagen Sie Freundlichkeit und Güte? Sind Sie deshalb verärgert?“

Die Drei schauen sich betreten an. „Ich glaube wir gehen jetzt!“ meint gesenkten Blickes Herr Kaltmann. „Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten! Auf Wiedersehen!“ Bevor sie die Tür schließen können ruft ihnen Heimleiter Gutmann noch nach: „Übrigens lesen Sie doch mal das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aus dem Matthäus-Evangelium. Es endet mit den Worten: „So werden die Letzten die Ersten sein, und die Ersten die Letzten!“

Hier endet meine Geschichte. Erzählen Sie sich diese Geschichte doch selbst weiter. Haben Lore Mußgnug, Berta Konawitz und Herr Kaltmann etwas gelernt? Verändert sich das Klima „Im Drosseltal“? Sind Sie vielleicht, bin ich vielleicht selbst eine Lore Mußgnug, eine Berta Konawitz oder ein Herr Kaltmann? Amen.

Lied nach Predigt:
EG 317, 4+5, Lobe den Herren, den mächtigen 

Fürbittengebet

Lieber Vater im Himmel, wir danken dir dafür, dass du dich um uns kümmerst. Du gibst uns, was wir brauchen, und bist für uns da, wenn wir mit unseren Sorgen zu dir kommen.

Wir bitten dich um deinen Segen für unser Leben und für alle Menschen, die meinen, sie kämen zu kurz.

Erbarme dich unser um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen. Wehre allem Neid und aller Missgunst. Erhalte uns in der Liebe und segne das Miteinander in unserem Land, in unseren Städten und Gemeinden, in unserer Kirche und hier in unserem Haus. Amen.

Vater unser

Schlußlied:
Ach bleib mit deiner Gnade 347, 1-6  

Abkündigungen

Segen

Dreifaches Amen und Nachspiel