Geschichten und Gedichte - - Erstellt von Diakonin Ruth Dittus

Jahreszeiten

Telefonisch habe ich mich zu einem Besuch angekündigt. Leider habe ich mich verspätet. Die Heimbewohnerin erwartet mich bereits an der Zimmertüre. Nachdem ich mich entschuldigt habe, meint sie: "Macht nichts. Wissen Sie, hier im Heim wird viel gewartet. Alle warten immerzu auf irgendjemand oder irgendwas.

Telefonisch habe ich mich zu einem Besuch angekündigt. Leider habe ich mich verspätet. Die Heimbewohnerin erwartet mich bereits an der Zimmertüre. Nachdem ich mich entschuldigt habe, meint sie: "Macht nichts. Wissen Sie, hier im Heim wird viel gewartet. Alle warten  immerzu auf irgendjemand oder irgendwas: Auf das Essen, die Schwester, den Arzt, den Besuch - oder auf den Tod. Ich erwarte Neues - und alles bleibt immerzu gleich. Die Warterei nervt. Jetzt warten alle auf Weihnachten und ich warte, dass alles bald vorübergeht, denn diese Zeit ist nur schwer auszuhalten. Denn ich weiß ja, dass nichts mehr so sein wird wie früher, diese Zeit zeigt mir, was ich alles verloren habe. Ich warte auf Frieden und Ruhe - und Sie hören ja selbst, dass das ein Wunschtraum ist. (Auf dem Flur ist Lärm: Geklapper, Sprechgeräusche) Ich warte - aber auf was denn genau? Auf was warten Sie?"
Ich antworte: "Ich warte auf etwas, was wirklich wichtig ist für mich, das meinem Leben eine andere Perspektive gibt, dass gerade jetzt in dieser dunklen Zeit mir ein Licht aufgeht."
"Na, dann warten Sie mal ab."

Plötzlich hören wir Musikfetzen, ich kann die Melodie erkennen bevor sie wieder weg ist. Ich frage die Heimbewohnerin: "Haben Sie dieses Lied erkannt?" Sie nickt.
Gemeinsam singen wir die beiden Verse:

Das ewig Licht geht da herein,
gibt der Welt ein' neuen Schein;
Es leucht' wohl mitten in der Nacht
und uns des Lichtes Kinder macht.
Kyrieleis

Das hat er alles uns getan,
sein groß Lieb zu zeigen an.
Des freu' sich alle Christenheit
und dank ihm des in Ewigkeit.
Kyrieleis

Wir schweigen, lassen die Worte und die Melodie nachklingen.
Und in dieses Schweigen hinein sagt sie: "Zu zweit lässt es sich besser warten!"