Andachten - - Erstellt von Diakonin Ruth Dittus

Ich spüre das Alter

Ich vermute, dass viele von Ihnen den Satz „Ich spüre das Alter.“ schon öfter gebraucht haben. Auch ich gebrauche ihn gelegentlich und ich meine damit: meine Kraft lässt nach, ich erhole mich nicht mehr so schnell, die Falten und Runzeln nehmen zu.

Vorspiel (vom Band)

Begrüßung

Psalmgebet:
Psalm 92

Es ist ein köstlich Ding, Gott zu danken und lobsingen deinem Namen,
des morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.
Denn, du Gott, lässest mich fröhlich singen von deinen Werken und ich
rühme die Taten deiner Hände.
Gott, wie sind deine Werke so groß. Deine Gedanken sind sehr tief.
Ein Törichter glaubt das nicht und ein Narr begreift es nicht.
Gott, du bist der Höchste und bleibst ewiglich.
Die Gerechten werden grünen wie die Palmbäume, sie werden wachsen
wie die Zedern auf dem Libanon.
Die gepflanzt sind im Hause Gottes werden in den Vorhöfen unseres
Gottes grünen.
Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar
und frisch sein, dass sie verkündigen, wie es Gott recht macht.

Amen

Ansprache:

Liebe Zuhörende,
ich vermute, dass Viele von Ihnen den Satz „ich spüre das Alter“ schon öfter gebraucht haben.
Auch ich gebrauche ihn gelegentlich und ich meine damit

  • meine Kraft lässt nach
  • ich erhole mich nicht mehr so schnell
  • die Falten und Runzeln nehmen zu
  • es ziept und zwickt immer irgendwo und ständig woanders
  • ich kann nicht mehr so viel und so lange arbeiten wie früher
  • ich gehe nicht mehr ungestraft nach Mitternacht ins Bett
  • ich muss mir Dinge aufschreiben, damit ich sie nicht vergesse.

Würde ich ein Bild dazu malen, es sähe anders aus als diese Karikatur.

Mein Bild vom Alter und das, was ich um mich herum im Altenheim
wahrnehme, sieht anders aus. Ganz anders.
Dieses Bild ist ein Kontrast dazu – und eine einzige Provokation.

Diese alte Frau strotzt nur so vor Leben, ihr Mund lacht verschmitzt und breit - bis zu den Ohren. Sie reckt und streckt sich, als wolle sie sagen: „Her mit dem Alter – was kostet die Welt!“ Die Runzeln und ihr nicht mehr dem Schönheitsideal entsprechender Körper scheinen sie dabei weder zu stören noch zu behindern.
Sie mutet sich der Umwelt zu, einfach so wie sie ist.
Sie trägt Schuhe wie ein Clown  – mit dem rechten fest mit dem Boden verbunden, mit dem linken sprengt sie den Rahmen. Ihr Schritt ist schwungvoll, raumgreifend.
Diese Frau ist einfach unverschämt in ihrem Drang nach Freiheit.

Im Pflegeheim höre ich immer wieder den Satz aus Prediger 12: „Gedenke
an deinen Schöpfer in der Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die
Jahre herzutreten, da du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht.“
Dieser Text spielt für diese Frau keine Rolle, jedenfalls im Moment nicht. Sie lebt
jetzt und freut sich ihres Alters.

Das Leben hat gewiss auch bei dieser Frau Spuren hinterlassen, ihr Verluste zugemutet, Wunden geschlagen.
Doch sie jammert nicht über das, was sie -nicht mehr- ist und hat, sondern freut sich über das, was jetzt gerade ist. Eben wie ein kindlicher Clown.
Für sie scheint das Alter auch nicht etwas Schreckliches zu sein, vielmehr drückt
ihre Haltung aus: Hurra, ich bin alt, ich muss nicht mehr in den Alltagszwängen leben, ich koste die Freiheit, die ich habe, aus. Ich muss nicht mehr den Normen entsprechen. Ich kann mich meines Lebens freuen – einfach so. Ich kann aus dem Rahmen fallen, Grenzen sprengen. Hoch erhobenen Hauptes, kraftvoll erwartet sie, was das Leben für sie noch bereit hält.
Wer von uns wünschte sich für sein Alter das nicht?
Vielleicht werden Sie jetzt sagen:

Diese Frau hat gut lachen, sie sitzt nicht im Rollstuhl, sie kann offenbar ihre Glieder ohne Schmerzen bewegen, sie ist nicht auf fremde Hilfe angewiesen.
Oder Sie könnten einwenden: Man kann doch alles Schwere, was man erlebt hat, nicht einfach vergessen. Das sind gewiss wichtige Argumente.
Mir scheint jedoch, dass  Freude und Humor dieser Frau von innen kommen.
Sie macht sich nicht abhängig von äußerlichen Gegebenheiten, sondern sie spürt dem Alter die positiven Seiten ab.
Ich kann sie nicht fragen, woher sie ihre unbändige Lebensfreude, ihren Optimismus bezieht.
Im Psalm 92 werden wir Menschen mit Bäumen verglichen, die in den Himmel wachsen – das ist ihre Aufgabe.
Diejenigen, die sich zu Gott halten, sollen, auch wenn sie alt werden, grünen und blühen, fruchtbar und frisch sein. Was für eine Verheißung!
Auch alte, krumme und schiefe „Menschenbäume“ können fröhlich singen und Gott danken für seine Gnade. Das macht mir Mut für mein eigenes Alter.

Ich schließe mit dem Gebet einer alten Frau:

„Gott, du und ich – wir haben ein Geheimnis.
Das Altwerden bringt doch einiges mit sich, was Spaß macht, ja richtig Freude.
Wir Alten müssen uns nicht mehr von der Welt plagen lassen.
Auch wenn sie über uns lächeln – wir wissen es besser.
Wir brauchen nicht mehr den Schein zu wahren,
wir können auf kindliche Freuden zurückgreifen:
zusehen, wie eine Spinne ihr Netz webt,
vor einem Licht Schattenbilder an die Wand werfen,
die Hinterhöfe wie Neuland erforschen,
statt einer richtigen Mahlzeit Apfelkompott mit Sahne essen,
Trödeln.

Die ganze Nacht wach bleiben. Sterne zählen.
Ein Nickerchen machen, einen verrückten Hut tragen.
Gott, warum hast du mir nicht verraten, dass das Altwerden
neben allem, was ich daran so hasse, auch manches Vernügliche
mit sich bringt?
Ich weiß, ich weiß – weil ich es nicht geglaubt hätte.“

Vater unser

Segen

Gott segne die Jahre deines Lebens.
Gott schaue auf die Jahre der Fülle und die Jahre der Not.
Gott weine mit dir in deiner Trauer und Verlassenheit.
Gott bewahre deine Träume und Hoffnungen.
Gott nehme dich liebevoll in die Arme und führe dich in
das Reich der Liebe.

Amen

Nachspiel