Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrer Werner Ambacher

Hoffnung über den Tod hinaus

Ein abgefallenes Laubblatt, vielleicht schon ganz ausgetrocknet. Nur nicht zu feste drücken, denn es sieht schon zerbrechlich aus. Da darf nicht mehr viel kommen.

Der biblische Text macht drei Dinge bewusst:

  • Alles, auch jeder Mensch, ist vergänglich (Bild der Blüte, bei uns sinnvollerweise übertragen auf Herbstlaub).
  • Bewusstsein, dass Gott auf mich schaut, ist nicht immer tröstlich und angenehm. Hier wird es als äußerst unangenehm, ja unerträglich empfunden, als richtendes Handeln, als Plagen, was angesichts der Rahmenhandlung von Hiob nur zu verständlich ist.
  • Anklang an den fast schon paulinischen Sachverhalt: Alle sind Sünder!

Auch ohne Auferstehungshoffnung wird hier der Tod als Erlösung, als Ende menschlichen Leidens gesehen.
Christliche Hoffnung muss darüber hinausgehen, ohne vorschnell über die beschriebene Notlage und die Gefühle hinwegzugehen oder sie gar zu verbieten.
Ich kann das ständige Schauen Gottes auf Menschen, auch in Not, auch am Lebensende, auch angesichts des Todes nicht nur als beengendes Richten, als Züchtigen sehen, sondern auch als wertschätzendes Blicken, als Liebe.

Ich fotografiere Herbstlaub, weil es schön aussieht.
Gefahr: Trugschluss: Leiden, Sterben ist an sich schön.
Stattdessen: Gott sieht mich an, weil ich ihm wichtig bin, gerade und auch im Leiden, im Sterben, in Trauer.
Es ist mir durch den Tod hindurch eine andere Erlösung versprochen als nur das Auslöschen von Leiden und Schmerzen, aber allerdings auch das Erlöschen von mir als Person.

Als fühlbare Unterstützung kann den Gottesdienstteilnehmenden ein Herbstblatt in die Hand gegeben werden – Fühlen und Identifizieren der Zerbrechlichkeit.
Wo möglich kann das Verlesen der Namen der Verstorbenen mit dem Entzünden jeweils einer Kerze verbunden werden. Mir ist es mittlerweile gelungen, gerade beim Verlesen der Namen Vertreterinnen des Personals mit einzubeziehen, da es ja auch der Gottesdienst des Hauses ist – und das bei weitem nicht nur in den Heimen kirchlich-diakonischer Trägerschaft.
Bei der Liedauswahl habe ich wieder auf vertraute Texte und Melodien zurückgegriffen. Wo möglich, empfiehlt sich gerade bei diesem Gottesdienst geeignete Musik vom Tonträger, wo niemand „live“ Musik macht. 

Predigt über Hiob 14, 1-6

Ein abgefallenes Laubblatt, vielleicht schon ganz ausgetrocknet. Nur nicht zu feste drücken, denn es sieht schon zerbrechlich aus. Da darf nicht mehr viel kommen. Und wenn ich es wieder zurücklege in die Natur ist irgendwann nicht mehr viel, ist irgendwann gar nichts mehr davon übrig.

Auch schon vom Herbst gezeichnet, vom Baum gefallen, zerbrechlich, empfindlich – da darf nicht mehr viel kommen, nicht noch Schwereres! Kommen Sie sich nicht immer wieder auch so vor? Was bleibt von mir einmal übrig, wenn dieses Leben erst ganz zu Ende ist? Was bleibt von denen, die schon gestorben sind, übrig? Die Namen, die schon von den Zimmertüren verschwunden sind und anderen Platz gemacht haben? Eine Kerzenflamme, die nachher wieder erlischt? Ein Grab, das viele von Ihnen, die so manche der Verstorbenen aus Ihrer Mitte gar nicht mehr besuchen können, weil es unerreichbar weit weg ist? Was bleibt überhaupt? Soll das mein Leben gewesen sein, vor allem die letzten Jahre, in denen es mehr Beschwerden als Freude gab?

Hiob ist noch nicht tot; zerbrechlich wie ein abgefallenes Laubblatt fühlt er sich trotzdem auch. Kein Wunder nach solchen Schicksalsschlägen und Verlusten, gezeichnet durch seine schlimme Hautkrankheit, von Mitmenschen provoziert: Was soll denn jetzt noch dein Glaube an Gott? Kannst du nicht einsehen, dass das nichts bringt, mit diesem Unsinn endlich aufhören? Nein, viel kann und darf da nicht mehr kommen. Es ist ihm schon unerträglich, so im Mittelpunkt zu stehen, beachtet zu werden, vor allem von Gott. „Musst du immer als Richter auf mich schauen? Sieh doch jetzt auch einmal weg! Lass mich doch endlich mal in Ruhe, bis der Tag kommt, an dem mich der Tod erlöst!“ Ja, was Hiob hier sagt, erinnert mich an eine Geschichte, die der Pfarrer Axel Kühner in einem seiner Bücher erzählt. Da kommt ein Vikar zu seinem schwerkranken Ausbildungspfarrer. Um ihn zu trösten sagt er zu ihm: „Die Gott liebt, züchtigt er.“ „Ja“, antwortet ihm sein Vikarsvater; „nun wäre es aber auch mal gut, er würde mich eine Weile weniger lieben…“

Gott schaut auf mich, auf Sie, auf die Verstorbenen – aber nicht nur als Richter, der alles sieht und beurteilt, dem nicht entgeht, dass ich eben in vielem nicht vollkommen, ja, dass ich immer wieder eben auch böse bin. Dass Gott mich nicht aus den Augen lässt, auch nicht, wenn ich mir vorkomme wie das Herbstlaub in meiner Hand, muss nicht nur unerträglich sein und Angst machen. Herbstlaub ist ja auch schön. Letzte Woche hatte ich vom Speisesaal der evangelischen Akademie in Bad Boll so einen wunderschönen Ausblick auf den Herbstwald, der gleich neben dem Haus beginnt; es war so schön bunt, glänzte und leuchtete regelrecht in der aufgehenden Herbstsonne, dass ich davon unbedingt ein Foto machen musste. Ja, so wichtig war mir dieses Laub, das doch auf dem Weg zum Vergehen ist, das schon auf dem Boden liegt um zu vermodern.

So wichtig, so unersetzlich sind wir Gott, dass er auch dann nicht wegschaut, wenn wir nicht mehr viel brauchen können, uns schwach, elend, einsam fühlen, Angst vor dem Sterben haben, uns fragen: Was bin ich denn noch? Was bleibt denn noch nach meinem Tod?

Weil Gott uns nicht aus den Augen lässt bleibt auch mehr von uns übrig als ein Erinnerungsfoto. Weil Gott nicht nur ein Foto von uns macht, sondern seinen Sohn zu uns schickt, mit uns leben, Freude und Leid teilen lässt, ihn für uns in den Tod gibt, ihn nach Leiden und Grab auferstehen lässt, bleibt nicht nur ein Eindruck von mir, sondern bleibe ich – über die Schwelle dieses Lebens hinaus, bleibe ich im Vertrauen auf ihn, wenn er sein Ja sagt, das mich als neuer, als anderer Mensch auferstehen lässt.

Dieses Blatt in der Hand werden Sie vielleicht irgendwann wegwerfen, und es wird vergehen. Die Kerzen, die heute brennen, werden ausgehen, die Namen, an die wir uns heute erinnern, werden vielleicht bald aus unserem Gedächtnis verschwinden. Bei Gott wird aber nichts und niemand vergessen sein, weil er sein Machtwort sprechen kann, weil er jeder und jedem ein neues Leben schenken kann. Hoffen, vertrauen wir darauf, durch Herbst und Winter hindurch, bis ins Frühjahr, wo es wieder grün wird, wo auch Ostern wird. AMEN.