Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrer Matthias Hannig

Worte, die das Schweigen brechen

In der Geschichte von der Heilung des Gelähmten bleiben alle Beteiligten erst einmal stumm. Der Gelähmte sagt nichts, seine Freunde sagen nichts; keine Klage ist zu hören

Instrumentales Vorspiel

Begrüßung

Wir sind beieinander im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
„Heile du mich, Herr, so werde ich heil. Hilf du mir, so ist mir geholfen.“
Unser neuer Wochenspruch weist weit hinaus über die kommenden Tage. Denn Gott als einen
heilenden Begleiter zu erfahren, das ist ein Wunsch, den wir lebenslang im Herzen tragen. Darum seien Sie jetzt willkommen geheißen als Mensch en, die voller Vertrauen Gottes Hilfe ersehnen.

Lied
446, 1-4 („Wach auf, mein Herz, und singe“)

Psalm 30

Gebet

Gott, in uns ist Dunkel, aber bei dir ist Licht.
Wir fühlen uns einsam, aber du verlässt uns nicht.
Wir sind mutlos, aber du hilfst uns.
Wir sind unruhig, aber du schenkst uns Frieden.
In uns ist Bitterkeit, aber bei dir ist Hoffnung.
Wir verstehen unsere Wege nicht, aber du weißt den
Weg für uns.
Wir bitten dich:
Mach ́ uns unseres Lebens gewiss,
stärke uns, richte uns auf,
und höre uns,
wenn wir jetzt in der Stille vor dich bringen, was u
ns an diesem Morgen bewegt.
Stilles Gebet

Lied
346, 1-3 („Such, wer da will.....“)

Lesung
(Markus 2, 1-12)

Liebe Hausgemeinde, ist es Ihnen gerade bei der Lesung des Evangeliums aufgefallen? In der Geschichte von der
Heilung des Gelähmten bleiben alle Beteiligten erst einmal stumm. Der Gelähmte sagt nichts, seine Freunde
sagen nichts; keine Klage ist zu hören, keine

Bitte, kein Hilferuf, keine Schilderung des langen Leidens. Auch die Schriftgelehrten sagen nichts, sprechen nicht aus,
was sie denken. Es wird viel geschwiegen in dieser Geschichte. Jesus ist der einzige, der redet. Es kann unsicher machen, wenn geschwiegen wird. Zum Beispiel kommt man zusammen in der Familie oder sitzt hier im Haus um einen Tisch, und niemand redet. Wer in eine solche Runde kommt, wird leicht unsicher.

Was hat das Schweigen zu bedeuten? Ablehnung? Schwerhörigkeit? Gibt es etwas, was nicht gesagt werden darf?
Möchte man etwas sagen, aber  ́beißt ́ sich stattdessen  ́auf die Zunge ́? Oder ist es einfach nur Müdigkeit, die einem den Mund verschließt? Schweigen kann etwas Lähmendes haben. In unsererHeilungsgeschichte wird, wie gesagt, auch viel geschwiegen. Doch dieses Schweigen ist nichts Schlimmes oder Beängstigendes. Denn wichtig ist zunächst einmal das, was in der Geschichte getan wird – ohne Worte! Da sind die Freunde. Sie schleppen den Gelähmten herbei, decken das Dach ab, tüfteln eine Lösung aus, um ihn hinunterlassen zu können zu Jesus. Ganz praktisch ist die Hilfe der Freunde. Sie gehören zu den Menschen, die einfach da sind, wenn sie gebraucht werden, die sehen, was zu tun ist und  ́anpacken ́; so kann man in der Tat Zuwendung bekunden und einem anderenzu verstehen geben: „Ich bin für dich da.“

Der Gelähmte hat Freunde, und das spielt eine wichtige, rettende Rolle für ihn. Es ist nicht selbstverständlich, echte Freunde zu haben - solche, die mehr als nur Bekannte sind. Die Freunde des Gelähmten sind da, ja sie bringen ihn dorthin, wo er heil werden kann. Sie haben ihn nicht aufgegeben. Sie steigen den Leuten, sie steigen Jesus buchstäblich aufs Dach. Es sind Freunde, die “durch dick und dünn“, durch Wand und Dach gehen. Sie bleiben zwar in der ganzen Geschichte stumm, aber eins haben sie auf jeden Fall begriffen, nämlich dass er, der
Gelähmte, sich selbst nicht mehr helfen kann, dass er ganz und gar erstarrt ist. Und sie spüren heraus, wo er Hilfe bekommen kann.
Wir alle brauchen Menschen, mit denen wir Trauer und Freude teilen können. Wir alle brauchen Menschen, bei denen wir in Angst und Niedergeschlagenheit gut auf
gehoben sind.

Wir alle brauchen Menschen, die einfach da sind und sich um uns sorgen. Auf wieviel wunderbare Arten das in unserem Haus geschieht, erlebe ich im
mer wieder: Da ist die Pflegerin, die einer vom Leben enttäuschten Bewohnerin immer wieder Lieder vorsingt, die sie von früher her kennt; da ist der Mann, der seine sc
hwerkranke Ehefrau täglich besuchen kommt und sie in ihremRollstuhl durch den Ort spazieren fährt; da ist die junge Praktikantin, die einem unserer Bewohner regelmäßig seine Lieblingssüßigkeit aus der Stadt mitbringt.

Das sind die Zeichen liebevoller Zuwendung, jenseits aller Worte. Jesus versteht diese Zeichen und deutet sie. Im Evangelium heißt es: "Als er ihren Glauben sah..."
Er nimmt wahr, was die Männer für ihren Freund tun.

Was für andere Aufdringlichkeit, Unverschämtheit oder Hausf riedensbruch wäre, ist für Jesus Glaube. Glauben - keine Bekenntnisse, keine Formeln, kein Lehrsatz, sondern praktische Hilfe.  
"Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben."
Das sind die ersten Worte, die in dieser Geschichte fallen.

Es sind die Worte, die das Schweigen brechen, die Lähmung, es sind die erlösenden Worte: Mein Kind, oder: Mein Sohn. Was Jesus zuerst sagt, ist wahrscheinlich genau da , was der Gelähmte braucht, um erlöst zu werden, das, wonacher sich gesehnt hat: Jesus spricht den Gelähmten als Sohn, als Kind an, und schlüpft damit in die Vaterrolle. Jesus selbst wird zum Vater für den Gelähmten, so, als könnte das Leben noch einmal neu beginnen - auch das,was ihn hat erstarren lassen. Dieser Jesus-Vater nimmt den Mann so an, wie er ist. In Jesus begegnet ihm der liebende, annehmende, aufrichtende Vater. Und er, er darf sein, so wie er ist. Er darf sich selbst annehmen, muss sich nicht selbst klein machen, Es ist von keiner Vergebungsbitte die Rede, mit der er sich klein machen muss.

Mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben - das heißt: Du bist richtig. Es ist alles gut. Du kannst deine Lähmung en ablegen, alles was dich bedrückt und bekümmert. Du darfst de
ine Rolle im Leben neu finden. "Steh auf, nimm dein Bett und geh."

Jesus spricht das erlösende Wort. Er durchbricht das Schweigen. Er bringt auch das Unausgesprochene auf den Tisch. Jesus hat dem Gelähmten dazu verholfen, dass er das Leben in seiner Fülle wahrnehmen und gestalten kann. Und genau das hat der Gelähmte wohl gebraucht. Er wird nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich aus
seiner Gelähmtheit gelöst. Er wird nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich zu einer neuen Lebendigkeit befreit.

Wie schön, dass auch bei uns im Haus über das hilfr eiche praktische Tun hinaus immer wieder erlösende, annehmende Worte gesprochen werden. Wie schön, dassMenschen in unserem Haus sich Tag für Tag die Mühe machen, in den Augen und dem Herzen eines anderen zu lesen und ihm zu verstehen geben: Bei mir kannstdu dein Herz ausschütten und von dir reden.  

Es wird immer wieder Dinge im Leben geben, die uns lähmen und einengen. Ich wünsche uns, dass wir zu Beispielen solcher Geschichten wie der von dem Gelä hmten werden: dass sich lösen kann, was zu innerer Erstarrung führt, dass wir, getragen von den Menschen und von Gott, immer wieder frei werden und neu anfangen können und andere mit unserer Freiheit ans tecken. Amen.