Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrer Werner Ambacher

Wer sind meine Verwandten?

„Werd` bloß nicht noch frech, du!“ Ich möchte wetten, dass so manche diesem Menschen das am liebsten sagen würden, wenn sie nicht ganz genau wüssten, dass es hier um Jesus geht. Zu dem darf man so etwas natürlich nicht sagen.

„Werd` bloß nicht noch frech, du!“ Ich möchte wetten, dass so manche diesem Menschen das am liebsten sagen würden, wenn sie nicht ganz genau wüssten, dass es hier um Jesus geht. Zu dem darf man so etwas natürlich nicht sagen. Frech, unverschämt,  zumindest ein gutes Stück respektlos – so hört es sich trotzdem an, wenn Jesus hier sagt: „Wer ist meine Mutter, wer sind meine Brüder?“ Wer ist diese Person da? Ja, redet man so mit seinen Eltern, selbst wenn man schon dreißig ist und sich schon längst abgenabelt hat?

Steht nicht ausdrücklich bei den zehn Geboten: „Du sollst Vater und Mutter ehren“? Sind nicht gerade so manche von Ihnen traurig, weil Sie denken, Kinder, Enkel und Angehörige könnten ruhig mehr Zeit für Sie haben, öfter kommen? Macht es die Sache unbedingt besser, dass Jesus hier auch noch Gott ins Spiel bringt? Erkennen wir nicht extreme Religionsgemeinschaften, Sekten, gerade auch daran, dass sie sich regelrecht abkapseln, ihre Mitglieder dazu bringen, selbst Kontakte zur Familie abzubrechen?
Eins ist unbestritten: Dass sich an Jesus die Geister scheiden, machte auch vor seinen engsten Verwandten nicht Halt. Einige Verse vorher erfahren wir, warum seine Mutter und seine Geschwister wohl vor der Tür standen und ihn sprechen wollten: Was macht denn der mit den Leuten? Die kommen ja weder zum Arbeiten, noch überhaupt zum Essen und Trinken. Für wen hält der sich denn? Der steigert sich ja regelrecht in einen religiösen Wahn hinein, ja, der ist womöglich schon wahnsinnig geworden. Und merkt er denn nicht, dass er sich schon jede Menge Feinde macht? Was soll aus uns werden, wenn ihm etwas zustößt? Den müssen wir vor sich selber schützen!

Nicht umsonst berichtet Markus in diesem Kapitel ja auch, wie ihn einige der religiösen Führer ablehnen. Bei denen heißt es nicht nur: Hat sie der noch alle? Die vermuten Schlimmeres: Der hat einen bösen Geist, der ist mit dem Teufel im Bund, da ist Hexerei im Spiel! Im Mittelalter wäre er so wohl auf dem Scheiterhaufen gelandet, zu seiner Zeit drohte ihm für so etwas die Steinigung.

Da wird dann auch klar: Hier geht es Jesus nicht darum, seine Verwandtschaft persönlich vor den Kopf zu stoßen, ihnen zu zeigen: Ihr seid mir völlig egal! Aber als Sohn Gottes zeigt er hier: Auch sie haben in ihm keinen Vetter im Himmel, sind nicht deswegen heilig, weil sie mit ihm verwandt sind. In dieser Beziehung steht Jesus nur nahe, wer Gottes Willen ernst nimmt und tut. Und das ist eben kein Hineinsteigern in fromme Gefühle, keine Abschottung nach außen. Im Matthäusevangelium steht, was das heißen kann, Gottes Willen zu tun: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war nackt, und ihr habt mir Kleider angezogen; ich war krank, und ihr seid zu mir gekommen; ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Gottes Willen tun, das heißt eben auch Menschen nicht im Stich und mit ihrem Schicksal alleine lassen, die krank und alt sind, die dem Lebensende entgegengehen, Familien mit einem kranken oder behinderten Kind, Menschen, die im Gefängnis sind, ob unschuldig oder zu Recht… Die das füreinander tun sind einander Eltern, Kinder, Geschwister, manchmal vielleicht mehr als die, die es äußerlich gesehen sind.

Ich weiß, dass Ihnen niemand die verstorbenen Ehepartner, die Kinder, die Eltern ersetzen kann, hier im Haus erst recht nicht immer, weil einfach viel Zeit dafür fehlt, und weil kein Mensch so einfach ersetzt werden kann. Aber was hier im Heim geschieht, um einem Menschen zu helfen, damit er sich ein Stück wohler fühlt, damit er oder sie leben kann, ein Stück Liebe und Zuwendung spürt – das ist ein Stück Mutter, Vater, Tochter, Sohn sein… Und nicht umsonst sagt man ja im Krankenhaus und Pflegeheim noch oft: Das ist die Schwester…, auch wenn es längst keine Ordensschwestern oder Diakonissen mehr sind.

AMEN.
Diese Auslegung versucht, in die Welt der Altenheimbewohner hinein zu übertragen, was es heißen kann, neue Verwandte durch die Gemeinschaft in Christus geschenkt zu bekommen.