Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Pfarrer Werner Ambacher

Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig

Hier erleben wir Paulus einmal nicht, wie ich ihn mir vorstellen möchte: Ein Mensch, der zum Glauben steht, anderen etwas vormachen kann, in der Gemeinde das Sagen hat und notfalls auch mal durchgreift.

Hier erleben wir Paulus einmal nicht, wie ich ihn mir vorstellen möchte: Ein Mensch, der zum Glauben steht, anderen etwas vormachen kann, in der Gemeinde das Sagen hat und notfalls auch mal durchgreift – oder schlicht und einfach, der eben so ist, wie ein Christ sein sollte, vor allem einer, der sich kirchlich engagiert wie ein Pfarrer oder Kirchengemeinderat. Nein, hier erleben wir einen Paulus, der zu kämpfen hat, der auch leidet, der liebend gern anders wäre als er ist.

Was ihm fehlt, was ihn im wahrsten Sinne des Wortes sticht, wurmt, niederschlägt wissen wir nicht genau. War es eine schwere Krankheit, eine Behinderung? Da gehe ich nicht nur wegen meiner Augen selbst ständig zum Arzt, lasse den Augendruck kontrollieren, damit ich nicht noch das bisschen Sehvermögen verliere, das ich habe; da merke ich oft erst, dass ich Hilfe brauche, wenn ich mich so ungeschickt anstelle, dass es jede und jeder merkt; da macht es mir immer wieder auch zu schaffen wie manche Mitmenschen damit umgehen, dass ich beeinträchtigt bin. Da meinen so manche, sie müssten mich sofort duzen, weil sie sehen: Der hat eine Behinderung. Da fragen mich manche: Kann man da nichts machen? Vielleicht ist das mitfühlend gemeint; ich denke dann aber immer wieder: Was soll ich denn noch machen als mich behandeln zu lassen wie es eben geht? Bin ich denn schon deswegen eine Zumutung, weil ich näher an die Dinge herangehen muss, um sie zu erkennen? Ja, manchmal wäre ich meine Behinderung natürlich gern los, so wie Sie wahrscheinlich auch gern wieder besser sehen, hören, uneingeschränkt herumlaufen, klarer denken, weniger vergessen würden. Ja, wenn Paulus Gott auf Knien anfleht, diesen Stachel aus dem Fleisch zu nehmen, dann ist er so richtig einer von uns – mitsamt der Enttäuschung, dem Zorn, der Verbitterung, dass es so einfach eben nicht geht, auch mit dem Glauben nicht.

Aber vielleicht ist dieser Stachel im Fleisch, dieser Satansengel, der ihn schlägt, der auf ihn regelrecht einboxt, auch noch etwas ganz anderes, etwas, das auch die kennen, die keine sichtbare Behinderung haben: Satan, das ist auf hebräisch eigentlich der Verkläger vor Gottes Gericht, sozusagen Gottes Generalbundesanwalt. Dann drischt auf Paulus noch ganz anderes ein als eine Körperbehinderung, etwa epileptische Anfälle, Parkinson, der graue oder grüne Star. Da kommen aus der Gemeinde in Korinth ja genug Vorwürfe: Der hat doch keinen Charakter! Der schreibt nur aus der Ferne mit spitzer Feder und kann streng und autoritär tun; wenn er bei uns ist, wird er weich wie Butter und bekommt den Mund nicht auf! Seine Predigten kann man ja nicht anhören!

Der hält sich aber arg zurück mit Erlebnissen mit Gott, mit Botschaften direkt von Jesus! Der stellt halt einfach nichts dar! Was will denn der eine Gemeinde leiten, Pfarrer sein? Liebe Leute: das tut weh, erst recht, wenn auch was dran ist! Und da muss ich sagen: So etwas kenne ich doch: Wie oft will ich es da auch in so mancher Hinsicht anders und besser machen, es dem mal so richtig sagen, der meint, er könne mir dauernd das Leben schwer machen – und im nächsten Augenblick merke ich: Wieder mal nichts draus geworden, wieder mal klein beigegeben, wieder mal mit einem Riesenärger im Bauch weggelaufen! Da bringe ich es zum wievielten Mal nicht fertig, beim Abendmahl einmal nicht an erlebten Ärger, verletzende Worte, Zornausbrüche zu denken, während der Predigt, auf dem Weg durch die Stadt daran herumzumachen. Ja, das sprichwörtliche Elefantengedächtnis oder auch ganz andere Dinge, die auch Sie kennen, machen einem doch sehr zu schaffen, weil wir doch nur zu genau wissen: Als Christ sollte ich doch ganz anders sein! Ja, Gott, wie gern wäre ich anders! Und das denke ich mehr als dreimal – am Tag!

Da klingt es dann nicht mehr zynisch, wenn ich wie Paulus von Gott die Antwort bekomme: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ Es tröstet, dass Gott nicht nur lauter Hochleistungssportler und Boxweltmeister in Sachen Gut sein, in Sachen mit allem gut zurechtkommen, in Sachen Christ sein um sich herum brauchen kann sondern auch die, die da eben ihre Grenzen haben und kennen: Solche wie wir alle in irgendeiner Hinsicht. „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“ – Gerade als dieses armselige Kind einer Galiläerin im Stall geboren wird ist Himmel und Erde in Bewegung, hören die einfachsten Leute die Engel singen. Gerade als Jesus den schändlichen Verbrechertod am Kreuz stirbt beginnt für die Endgültigkeit des Todes das letzte Stündlein zu schlagen. Und immer wieder kann ich erleben: Wo ich glaube, ich hätte alles viel zu oberflächlich und schlampig vorbereitet, der Berg an Verpflichtungen ist so groß, dass das kein Mensch schafft – da merke ich am Ende: So manches hat den Leuten gutgetan! Bei so manchem hat Gott das Seine getan, da war nicht ich der große Macher.

In dem Sinn wünsche ich Ihnen, dass Sie in diesem Jahr auch viele Augenblicke erleben, wo Sie von Gott mehr spüren als von dem, was Sie in Ihrem Leben als Scherbenhaufen erleben, dass Gottes Hand und seine Zuwendung spürbarer ist als die Traurigkeit über nicht eingehaltene Vorsätze des alten Jahres. 

AMEN.