Gottesdienste und Predigten - - Erstellt von Susanne Vetter

Gott fragt nach mir - Geschichte von Jesus und Zachäus

Eine alte Frau sitzt allein am Tisch. „Ja von was leben Sie denn?“ frage ich. Die Bewohnerin im Altepflegeheim antwortet mit Tränen in den Augen

Eine alte Frau sitzt am Tisch im Wohnbereich des Heimes. Ich setze mich zu ihr. Sie ist eine Stille, das weiß ich. Sie denkt viel nach, obwohl oder weil ihr das Denken zunehmend Mühe macht. Ganz wesentliche Lebensfragen treiben sie um.
Und so fragt sie mich ganz unvermittelt: „Ja von was leb ich denn?“
Ich frage ganz behutsam zurück: „Ja von was leben Sie denn?“
Sie antwortet mit Tränen in den Augen: „Dass jemand nach mir fragt.“

„Dass jemand nach mir fragt.“
Auch mir kommen die Tränen.
„Dass jemand nach mir fragt.“ So schlicht und einfach ist die Antwort auf die Frage, wovon ich lebe.

So tief ist die Sehnsucht, gesehen zu werden, angesehen zu werden – mit liebevollen Augen, mit einem Blick, der mich würdigt, der sich für mich interessiert. Von einem, der Zeit hat für mich, ein offenes Ohr, ein weites Herz. „Dass jemand nach mir fragt“, danach hungert mich.
Und wenn ich das erlebe, dann, ja dann kann ich davon oft tagelang zehren.
Da ist einer nicht vorübergegangen an mir!

(folgendes kann auch ausgelassen werden:)
Von Rainer Maria Rilke gibt es eine Geschichte aus der Zeit seines ersten Pariser Aufenthaltes.
Gemeinsam mit einer jungen Französin kam er um die Mittagszeit an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin saß, die um Geld anhielt. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äußern als nur immer die Hand auszustrecken, saß die Frau stets am gleichen Ort. Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin gab häufig ein Geldstück. Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab ihr zur Antwort: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand." Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.
Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam von der Erde, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.
Eine Woche lang war die Alte verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Vergeblich suchte die Begleiterin Rilkes eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe.
Nach acht Tagen saß plötzlich die Bettlerin wieder wie früher am gewohnten Platz. Sie war stumm wie damals, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. "Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?", fragte die Französin. Rilke antwortete: "Von der Rose . . ."


Auch Jesus ist nicht vorübergegangen. Nie wird das von ihm erzählt. Immer wird erzählt, dass er in Gottes Namen in Beziehung gegangen ist. In heilsame Beziehung. Er weiß genau in seinem Herzen, wovon wir Menschen leben. Dass wir das Brot der Zuwendung und Zuneigung not-wendend brauchen.

Jesus kam nach Jericho und wollte durch die Stadt hindurchziehen. Siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war Oberzöllner und er war reich. Er wollte gerne sehen, wer Jesus wäre (er hatte Lebenshunger!), konnte es aber nicht wegen der Menge, denn er war klein von Gestalt. Da lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er vorbeikommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sagte zu ihm: Zachäus, steig schnell herunter, denn ich muss heute in deinem Hause einkehren.
Und Zachäus stieg schnell herunter und nahm ihn mit Freuden auf.
Als die anderen das sahen, murrten sie alle und sagten: Bei einem Sünder ist er eingekehrt!
Zachäus trat vor den Herrn hin und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemand um etwas betrogen habe, gebe ich es vierfach zurück.
Jesu aber sagte: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist.


Der Menschensohn ist gekommen zu suchen die Menschen, die niemand liebevoll angeschaut hat; an denen man oft einfach nur vorübergegangen ist, achtlos.
Der Menschensohn ist gekommen, um Halt zu machen vor denen, die übersehen werden, vielleicht auch verachtet werden. Weil sie krank sind. Oder alt. Oder verwirrt. Oder einfach anders.

Der Menschensohn bleibt stehen. Er sieht dich an. Mit liebendem Blick. Er fragt nach DIR.
Und bei DIR will er einkehren in dein Haus, in dein Lebenshaus. Um dich heim zu lieben zu sich.

Ja, wovon lebe ich denn?
Dass jemand nach mir fragt.

Danke, Gott, dass du nach mir fragst.

Amen